Im Rahmen der Fachpraktischen Ausbildung unternahm unsere Klasse einen Ausflug zu einem Waldorfkinderhaus. Ziel war es, die Pädagogik Rudolf Steiners nicht nur theoretisch kennenzulernen, sondern ganz praktisch in den Alltag einer Waldorfeinrichtung einzutauchen. Dieser besondere Tag war geprägt von einer Vielzahl intensiver Eindrücke, sinnlicher Erfahrungen und lebendigem Lernen – ganz im Sinne der Waldorfpädagogik.
Ein Morgen der Sinne: Vom Korn zum Brötchen
Der Tag begann mit der gemeinsamen Vorbereitung des Frühstücks – und zwar von Grund auf. Wir schlugen Sahne zu Butter, schroteten das Korn selbst und backten Brötchen. Dieses Tun mit den Händen steht im Zentrum der waldorfpädagogischen Idee des „Lernens durch Erleben“. Rudolf Steiner betonte die Bedeutung der Sinne und der Verbindung zur Natur. Das bewusste Erleben des Entstehungsprozesses von Lebensmitteln schult nicht nur die Motorik, sondern auch das Verantwortungsgefühl und die Wertschätzung für natürliche Ressourcen.
Ein farbenfroher Start: Begegnung mit dem Regenbogen-Fallschirm
Bevor wir gemeinsam frühstückten, lernten uns die Mitarbeiterinnen des Kindergartens mithilfe eines großen Fallschirms in Regenbogenfarben kennen. Diese spielerische Form des sozialen Miteinanders stärkt das Gemeinschaftsgefühl und schafft Vertrauen – eine zentrale Säule der Waldorfpädagogik. Farben, Rhythmus und Bewegung sind hier bewusst eingesetzte Elemente, um Körper, Seele und Geist gleichermaßen anzusprechen.
Rituale als Anker im Alltag
Vor dem Essen zündeten wir gemeinsam eine Kerze an und sangen ein Lied – Rituale, die im Waldorfkindergarten eine wichtige Rolle spielen. Sie strukturieren den Tag, geben den Kindern Sicherheit und fördern ein Gefühl der Geborgenheit. Nach dem Frühstück wurde gemeinsam abgeräumt – eine Übung in Achtsamkeit, Verantwortungsübernahme und sozialem Lernen.
Einblick in die Einrichtung: Architektur, Materialien und Vorschulkonzept
Anschließend erhielten wir eine Führung durch die Einrichtung. Besonders auffällig: die „nicht geraden Wände“. Die organische Architektur, ebenso wie die Verwendung von Naturmaterialien, folgt der Idee, eine kindgerechte und naturnahe Umgebung zu schaffen. In der Waldorfpädagogik spielt die ästhetische Gestaltung des Raumes eine zentrale Rolle, da sie die seelische Entwicklung des Kindes positiv beeinflussen soll.
Im Gespräch wurde auch das Vorschulkonzept der Einrichtung thematisiert. Anders als in klassischen Kindergärten steht hier nicht die frühe kognitive Förderung im Vordergrund, sondern das Lernen durch Nachahmung, Spiel und Rhythmus – ganz im Sinne der kindlichen Entwicklungsphasen, wie sie Rudolf Steiner beschrieben hat.
Kreatives Gestalten: Vorbereitung eines Puppenspiels
Am späten Vormittag durften wir selbst kreativ werden: Wir bereiteten ein Puppenspiel für die Kinder vor – mit einfachen Holzfiguren und Naturmaterialien. Das freie Spiel, insbesondere das Puppenspiel, nimmt im Waldorfkindergarten einen hohen Stellenwert ein. Es regt die Fantasie an, fördert Sprachentwicklung und soziales Miteinander und vermittelt archetypische Bilder über Märchen und Geschichten. Wir konnten eigene Ideen entwickeln und so selbst erleben, wie schöpferisches Tun zur pädagogischen Methode wird.
Ganzheitliches Lernen mit Herz, Hand und Verstand
Dieser Ausflug war für uns nicht nur ein Blick in eine alternative Form frühkindlicher Bildung, sondern auch eine Einladung, das Lernen mit allen Sinnen zu erfahren. Die Waldorfpädagogik hat uns gezeigt, wie bedeutsam Rhythmen, Rituale, Naturverbundenheit und kreative Freiheit für die Entwicklung eines Kindes sind. Dieser Tag hat uns nicht nur tiefere Einblicke in die Waldorfpädagogik ermöglicht, sondern bietet nun auch eine wertvolle Grundlage, um Vergleiche mit unserer eigenen Einrichtung zu ziehen und die unterschiedlichen Ansätze bewusster zu reflektieren. Vielen Dank auch an das Waldorfkinderhaus St. Michael für diese Möglichkeit!
Emily März